Lockdown anno 1757

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Lockdown anno 1757

Nun war der 64-Jährige ganz allein. Seine liebe Gattin Anna war bereits vor drei Jahren verstorben, der einzige Sohn, Carl Wilhelm, Anfang des Jahres und nun auch noch sein bester Freund. Ihn selbst plagten schon länger Schmerzen in den Beinen. „Sein Gedächtnis verließ ihn und das Gehör ward auch schwer“, schreibt sein unbekannter Biograf. Doch Georg Wilhelm Wegner, Pfarrer in Germendorf bei Oranienburg, verzweifelte nicht und sann auf Abhilfe.

Zum einen nahm er ab und zu Theologiestudenten bei sich auf. Anstelle, wie üblich, durch deren Unterricht in Philosophie und Griechisch sein bescheidenes Einkommen als Dorfpfarrer aufzubessern, gewährte er ihnen freien Unterhalt und zusätzlich sogar ein Taschengeld. Es kam ihm vor allem auf die Gesellschaft an.

Außerdem profitierte Wegner von der Tatsache, dass er sein Leben lang ein ausgesprochener Büchernarr gewesen ist. Schon als Schüler und später als Student las er begeistert Geometrie-, Mathematik- und Geschichtsbücher. Zudem legte er ein Herbarium an und befasste sich mit dem Bau von Sonnenuhren. Nachdem er eine feste Pfarrstelle ergattern konnte, gab er fast ein Drittel seiner Bareinkünfte für seine Bibliothek aus. Und nun im Alter kam ein weiteres Hobby hinzu: Er kaufte zahlreiche Reisebeschreibungen und malte die „darinnen befindlichen Landkarten und Kupferstiche völlig mit Farben“ aus.

Das muss man sich einmal vorstellen: Da sitzt der alte Herr einsam in seinem abgeschiedenen Pfarrhaus und unternimmt Traumreisen in die ganze Welt! Er, der unseres Wissens nach niemals mit eigenen Augen das Meer gesehen hat, heuert dank seiner Vorstellungskraft auf prächtigen Segelschiffen an, erforscht den Erdball und erlebt ein Abenteuer nach dem anderen. Alles ohne Strom, ohne Telefon, ohne Internet, ohne Computer.

Georg Wilhelm Wegner vermachte seine Bücher unserer Spandauer St.-Nikolai-Gemeinde; so erfreuen sie uns in unserer Kirchenbibliothek und ab und zu in Ausstellungen noch heute.

Drei Arten dieser Reiseliteratur sind zu unterscheiden. 1.) Völlig phantastische Schilderungen, die meist so detailliert ausgeschmückt sind, dass man auf sie hereinfallen kann und glaubt, was der Autor notiert hat. 2.) Romane, die durchaus auf reale Erlebnisse zurückgreifen und Wahrheit und Fiktion spannend miteinander vermischen. 3.) Expeditionsberichte mit wissenschaftlichem Anspruch.

Wer sich intensiver damit befassen möchte, dem sei ein Blick in das Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 18. Jahrhunderts (VD 18) empfohlen: www.vd18.de - Suchwort „Reisebeschreibung“. Dort sind über 1000 Bücher aus diversen Bibliotheken nachgewiesen; die meisten davon wurden digitalisiert und können gemütlich am heimischen Computer durchgeblättert werden. Gute Reise!  

Autorin: Sabine Müller

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